Josef Mikl, Über Mauer, 1983

 

Damals, als Mauer noch lebte, galten nur Tatsachen.

Später nahmen die historischen Betrachtungen zu.

Das wird immer so sein.

Wenn jemand über Mauer denkt, befindet er sich in einem geistigen Notstand, aus dem er anekdotisch Betrachtungen anstellt.

Der Tod des Menschen beendet die einfachen, selbstverständlichen Beziehungen, dafür entstehen die Erinnerungen, es entstehen Geschichten.

Die folgende Rede wurde anlässlich des sechzigsten Geburtstages Otto Mauers in der Galerie St. Stephan gehalten.

Feigheit hatte die Änderung: Galerie n ä c h s t St. Stephan erzwungen.

Trotzdem war noch alles voller Leben.

 

Meine Damen und Herren, sehr verehrter Monsignore Otto Mauer!

Im zweiten und dritten Raum zeigen wir Arbeiten, die Ihnen anlässlich Ihres sechzigsten Geburtstages gewidmet wurden.

Bescheidene Geschenke von Künstlern erhalten auch große öffentliche Förderer, die mit den ihnen anvertrauten Geldern nicht immer glücklich umgehen.

Etwas geschenkt zu bekommen, bedeutet noch nicht, geehrte zu werden.

Sie, Monsignore, ehren sich heute selbst dadurch, dass wir Ihnen an Hand der hier kaschierten Plakate vorhalten, was Sie bisher alles für die Galerie nächst St. Stephan getan haben.

Ein großer Teil davon können wir zeigen, ein sehr umfangreicher Teil aber, bestehend aus Plakaten, Kunstgespräch-Programmen, Einladungen zu Musikabenden, Vorlesungen, Diskussionen, Vorträgen, szenischen Auffüh-rungen usw. kann aus Platzmangel nicht gezeigt werden.

Unbestechlich und auf Belohnung nicht aus sind Sie.

Starrköpfig und ohne das bei uns oft angeborenen Talent zu kleinen Vergleichen, wehrhaft gegenüber Argumenten von Untieren und Miesmachern, rastlos in der Verfolgung Ihrer Kunstziele, bei deren Erreichen Sie häufig den dort schon wartenden österreichischen Undank vorfinden, nie ermüdend beim Durchqueren des heimischen Teiges phantastischer Salonmalerei, aus dem heutzutage bei uns das tägliche Brot für die Halbgebildeten gemacht wird, sind Sie das Beispiel eines guten Österreichers.

Und als solcher nehmen Sie unseren Dank entgegen, den Dank der vier Maler der Galerie, Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer und aller Ausstellenden und anders hier Vorgestellten bis zu diesem Tage.

Wir danken den Damen und Herren, die Ihrer Galerie mit Subventionen helfen, denn in einem Staat, der durch zu reichlich geflossene Bestechungsgelder eine Charakterwüste geworden ist, ist auch das Bestehen einer Galerie durch den Verkauf anständiger Bilder und Plastiken nicht gewährleistet.

Andere möge dieser Rückblick auf zwölf Jahre Galerie nächst St. Stephan zeigen: Man kann hudeln und schludern in Österreich, aber nach zwölf Jahren sieht alles ganz anders aus; dann wird das, was verschlampt wurde, von dem, was anständig getan wurde, rein getrennt.

Ihre Galerie, Monsignore Otto Mauer, hat von dem, was sie in zwölf Jahren gemacht hat, wenig zurückzunehmen.

Daher bitten wir Sie, genauso weiterzuarbeiten wie bisher, als direktor einer Weltgalerie unter wenigen großen Weltgalerien.

 

Aus: Albertina-Katalog Otto Mauer, Wien 1983

entnommen aus: Otto Mauer, Auswahl und Zusammenstellung des Buches Josef Mikl, Wien 1985