Wieland Schmied, Eröffnungsrede Juli 1999, Jesuitenkirche - Galerie der Stadt Aschaffenburg

Die Bildwelt, die Josef Mikl uns vor Augen stellt, ist beides: einfach und komplex zugleich. Von allen Bildern Josef Mikls geht die Suggestion der Spontaneität aus. Sie scheinen geradezu vor Spontaneität zu bersten. Und doch verdanken sie ihr Entstehen einem Arbeitsvorgang, der von Kontrolle, Disziplin und einem beinahe ätzenden kritischen Bewußtsein beherrscht ist. So direkt ihre Wirkung sein mag: Josef Mikl erreicht seine Bilder nur auf Umwegen. Das macht ihren Reichtum aus. Ihr Geheimnis, das Josef Mikl immer wieder beschwört - anderes könnte er nicht gelten lassen und gibt es darum immer wieder der Zerstörung anheim -, das Geheimnis seiner Bilder ist, daß er durch ihren langen Entstehungsprozeß hindurch den ursprünglichen Impuls, den eine Bildidee in ihm ausgelöst hat, lebendig halten kann, daß er das einmal von dieser Idee entzündete Feuer wachhalten und mit jedem Pinselzug weiter nähren kann, bis seine Funken auf den erst um ein Unendliches später erscheinenden Betrachter überspringen.

Josef Mikl erreicht seine Bilder, die uns als Inbegriff von Spontaneität erscheinen wollen, auf vielerlei, allerdings stets zielstrebig verfolgten Umwegen. So mag es gestattet sein, daß wir uns seinem Werk hier auch auf Umwegen zu nähern versuchen. Vielleicht läßt sich die Mitte dieses malerischen Werkes auch gar nicht anders als durch ein beständiges interpretatorisches Einkreisen fassen.

Die Einladung zur von der Galerie der Stadt Aschaffenburg in ihrer schönen alten Jesuitenkirche eingerichteten Ausstellung der Arbeiten von Josef Mikl spricht von „Bildern zu Raimund, Nestroy, Canetti“, von Bildwerken also, die sich mit Werken der Literatur auseinandersetzen. Ein flüchtiger Besucher könnte da leicht zu der Meinung verführt werden, es müsse sich hier um so etwas wie literarische Malerei handeln. Literarische Malerei, das ist heute ein Schreckenswort - noch Füssli war einst stolz gewesen, ein literarischer Maler genannt zu werden, einer, der den Geist eines Shakespeare und Milton mit dem eines Michelangelo versöhnt habe. Aber dann ist der Begriff verkommen, und wir warnen darum so ausdrücklich wie nachdrücklich, Josef Mikls Bildwelt mit diesem herabgekommenen Begriff von literarischer Malerei in eine wie lose auch immer geartete Verbindung zu bringen. Nein, sie hat damit nichts zu tun, so intensiv der Künstler auch vom Geist eines Raimund, Nestroy, Canetti und also vom Geist von Theaterautoren einer großen österreichischen Tradition ergriffen worden ist.

Wir müssen diesen drei Namen und dem mit ihnen verbundenen Werk - der mit kindlicher Fröhlichkeit maskierten Weltverzweiflung Ferdinand Raimunds, dem böse pointierten Weltüberdruß Johann Nestroys und den alle Welteitelkeiten demaskierenden aphoristischen Inszenierungen eines Elias Canetti, den die Österreicher spätestens seit der Verleihung des Nobelpreises ganz als einen der Ihren beanspruchen - vorher hatten sie zu ihm ein sehr viel distanzierteres Verhältnis -, wir müssen diesen drei Namen unbedingt noch den eines vierten Großen hinzufügen, mit dem sich Josef Mikl seit frühester Jugend aufs engste verbunden fühlt und der vielleicht der österreichischste von allen ist: Karl Kraus. Zugleich ist Karl Kraus so etwas wie das Bindeglied zwischen den anderen: nicht zuletzt seinem unermüdlichen Einsatz ist die Nestroy-Renaissance im Österreich der Jahrhundertwende zu danken - und als Canetti 1981 in Stockholm den Nobelpreis für Literatur entgegennahm, sagte er in seiner Dankesrede in souveräner, vielleicht auch ein wenig koketter Bescheidenheit, er tue dies stellvertretend für jene drei österreichischen Autoren, die ihn in frühen Jahren auf seinem Weg bestärkt und ermutigt hätten, Karl Kraus, Franz Kafka und Hermann Broch. Den zweiten Band seiner Lebenserinnerungen, der von den Jugendjahren in Wien erzählt, hatte Elias Canetti „Die Fackel im Ohr“ genannt. Sie wissen: Die „Fackel“ war die von Karl Kraus in Wien herausgegebene, abgesehen von ihren Anfängen von ihm allein geschriebene Zeitschrift, in der er ein Leben lang in den sprachlichen Sünden die Verbrechen eines Zeitalters zu fassen bekam und an den Pranger stellte. Karl Kraus war zugleich ein begnadeter Vorleser. Wenn er Texte aus der „Fackel“ vor fast immer ausverkauftem Auditorium vortrug, behielten die Zuhörer den Tonfall seiner Stimme, den Klang seiner Sprache noch lange im Ohr, jedenfalls so

lange, wie das, was er an Inhalten zur Sprache gebracht hatte, in ihrem Bewußtsein geblieben ist. Karl Kraus trug aber auch aus den Dramen von Shakespeare und Nestroy wie aus seinem eigenen, die ungeheuerlichsten Zitate verknüpfenden, dramatischen Weltkriegsepos „Die letzten Tage der Menschheit“ vor, und vielleicht hat die von Josef Mikl angeregte Lesung Elias Canettis in Mikls Ausstellung in der Galerie nächst St. Stephan in Wien 1965, in der dieser in zwei Stunden sein Drama „Die Befristeten“ zu Gehör brachte, auch mit der beschriebenen frühen Karl-Kraus-Erfahrung zu tun, als wäre es Canetti hier darum gegangen, etwas von dem einstigen Hör-Erlebnis an eine neue Generation weiterzugeben. „Wie Kraus, wie Radecki, wie Qualtinger“, schrieb Josef Mikl, „konnte seine [Canettis] Stimme das Theater ersetzen, vollkommen.“

Das Zusammenkommen von Raimund, Nestroy und Canetti im Werk des Malers Josef Mikl – und als unsichtbarer oder sichtbarer Vierter immer dabei Karl Kraus - war kein Zufall und hätte eines äußerlichen Anlasses kaum bedurft. Dennoch gab es diesen konkreten äußeren Anlaß: den Großbrand in der Wiener Hofburg in der Nacht vom 26. auf den 27. November 1992, der den ganzen Trakt mit den berühmten Redoutensälen vernichtete. Diese Säle sind auf das engste mit der Wiener Theater- und Operngeschichte verbunden. An diesem Ort - der mehrfach, oft nach einem Brand, architektonisch umgestaltet wurde - befand sich ab 1630 das Kaiserliche Hoftheater, um 1700 entstand hier ein von Francesco Galli-Bibiena entworfenes hochbarockes Theatergebäude, hier wurden Opern aufgeführt, Feste gefeiert, wurde Theater gespielt, hier fanden Konzerte statt, wurden Maskenbälle in Szene gesetzt. Gut anderthalb Jahre lang stritt man darüber, ob es zu einer den alten Zustand kopierenden Restaurierung oder - wenigstens im Inneren - zu einer Neugestaltung kommen sollte. Die schließlich gefundene Lösung fiel salomonisch aus: der weniger zerstörte Kleine Redoutensaal sollte originalgetreu renoviert, der Große Redoutensaal, dessen Decke eingestürzt - kostbare Tapisserien vernichtet -, dessen Fußboden zerstört war, neugestaltet und einem lebenden Künstler anvertraut werden. 1994 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem eine Reihe prominenter internationaler Künstler eingeladen wurden. Aus ihm ging Josef Mikl als Sieger hervor.

Die Aufgabe war zweigeteilt und bestand darin, ein Deckenbild in den Maßen von rund 13 mal 36 Metern zu malen - also eine Gesamtfläche von immerhin 404 Quadratmetern zu füllen – und des weiteren 22 Wandbilder in den durchschnittlichen Maßen von dreieinhalb Meter Höhe und zwei Meter fünfzig bis zwei Meter neunzig Breite zu schaffen - eine ungeheure Arbeit, zu deren Bewältigung sich der Künstler mehr als einmal Mut zusprechen mußte. Da traten ihm vier Helfer an die Seite und verliehen ihm die innere Sicherheit, der Aufgabe gewachsen zu sein und das Rüstzeug zu besitzen, sie zu bewältigen: Raimund, Nestroy, Canetti, Kraus. Nach drei Jahren, 1997, war die Aufgabe erfüllt, waren die Bilder fertig. In der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien und im Schömer-Haus in Klosterneuburg wurden die Wandbilder und die zahlreichen Skizzen, Studien und Entwürfe, die zu ihnen wie zum Deckengemälde geführt hatten - die vielen Umwege, von denen wir sprachen -, der Öffentlichkeit vorgestellt, 1999 folgten im Österreichischen Theatermuseum Mikls Vorarbeiten, Bühnenentwürfe, Ölbilder und Graphiken zu Nestroys Spätwerk „Häuptling Abendwind“, gleichsam ein Nachklang und ein Ausklingen der gewaltigen Anstrengung, welche die Arbeit für den Großen Redoutensaal bedeutet hatte.

Josef Mikl und die Literatur, Josef Mikl und das Theater - ein Verhältnis, das so einfach und so kompliziert ist wie alles bei Josef Mikl. Ich kenne wenig gebildetere, wenig belesenere Menschen unter den zeitgenössischen Malern als Josef Mikl. Schopenhauer, Kierkegaard, Carlyle, Jean Paul sind ihm so vertraut wie die großen Österreicher, wie Kafka, Trakl, Musil, um nur diese Namen zu nennen. Gebildet, belesen - das könnte auch Begriffe wie schöngeistig und feinsinnig nahelegen. Josef Mikl ist beileibe alles andere als schöngeistig oder feinsinnig. Er ist ein Künstler, ein Künstler mit der Kraft, enthusiastisch zu lieben und zu bewundern, wie mit der Kraft, erbarmungslos zu verurteilen und radikal tabula rasa zu machen. Josef Mikl ist ein unbequemer Geist, ein streitbarer Zeitgenosse. Vieles paßt ihm nicht an unserer Zeit, und er wird nicht müde, es unverblümt, in oft verletzender Direktheit auszusprechen. Seiner Liebe zur Literatur, zum Theater - oder richtiger: seiner Liebe für einige bestimmte Schriftsteller, für solche, die philosophierten, wie für solche, die für das Theater schrieben - entspricht seine Wut auf die Journalisten im allgemeinen wie auf die Kunstkritiker im besonderen. Mikl ist ein echter Journalistenfresser, und nicht umsonst ist er, dem wir essayistische, autobiographische, aphoristische und dramatische Texte verdanken, auch der Schöpfer einer höchst originellen Figur, Hawranek, die zur Journalistenverschlingerin geworden ist. Ohne die Hawranek beleidigen zu wollen, dürfen wir sie ein Ventil Mikls nennen, durch das der Künstler angestauten Überdruck abläßt und sich Luft verschafft.

Überdruck ablassen, sich Luft verschaffen - das ist für Josef Mikl eine Lebensnotwendigkeit, um sich ganz auf die Kunst konzentrieren, um die Bilder malen zu können, die zu malen es ihn drängt. Wie gesagt: Diese Bilder sind bei aller Ergriffenheit durch Werke der Literatur, genauer: durch Sprach-Kunstwerke, alles andere als Ausfluß literarischer Malerei. Von Illustration, selbst von Interpretation der Sprach-Kunstwerke ist Mikls gestische Malerei so weit entfernt wie große Dichtung von plattem Journalismus, ist sie durch Welten getrennt.

Was Mikls Malerei mit den von ihm geliebten Sprach-Kunstwerken verbindet, ist der Zwang und die Lust, Exaktheit und Emotion, äußerste Präzision und vitalsten Lebensimpuls miteinander zu verbinden, oder, um es mit den Worten Robert Musils zu sagen, Genauigkeit und Seele. Musil ließ seinen Protagonisten Ulrich von einem Generalsekretariat für Genauigkeit und Seele träumen, und ich könnte mir Josef Mikl sehr gut als einen dort wirkenden Generalsekretär vorstellen.

Dies eben ist es, was die Mal-Kunstwerke des Josef Mikl den Sprach-Kunstwerken verdanken, daß sie in ihrem Schöpfer Emotionen wecken, daß sie etwas zum Schwingen bringen, daß sie ein Denken in Gang setzen, das immer ein bildnerisches Denken ist und sich immer im Bereich des Visuellen bewegt. Josef Mikl ist kein literarischer Maler, aber er ist ein denkender Maler, und wenn wir seine der spontanen Geste entsprungene Kunst auf die knappste Formel bringen sollten, dann müßten wir von ihr sagen, daß sie von einem denkenden Künstler kommt.

Diese Formel bedarf freilich sogleich der Ergänzung. Josef Mikl ist als Maler das, was Friedrich Nietzsche als Philosoph war: ein Denker auf der Bühne. Das will sagen: Wie der Philosoph die Gedankengänge, die ihn zur aphoristisch zugespitzten Formulierung einer Idee geführt haben, vor seinem Leser sichtbar macht, so läßt die Malerei Mikls, die überall von den Spuren des Arbeitsprozesses, der zu einem im strengsten Sinn niemals abgeschlossenen Werk geführt hat, geprägt ist, den Betrachter die Wege nachvollziehen, die der Künstler gegangen ist, um sich einem noch unscharf geahnten Ziel zu nähern - und vielleicht einen Schritt davor innezuhalten, um den Betrachter von sich aus diesen letzten Schritt tun zu lassen, vergleichbar mit dem Schriftsteller, der einen Satz mit drei Punkten enden und einen Gedankengang in der Suggestion ausklingen läßt.

Josef Mikl hat vom Theater die ungeheuerste Vorstellung, das Theater eröffnet für ihn die ungeheuersten Möglichkeiten, und das bedeutet für ihn vor allem: den Verzicht auf neunundneunzig von hundert Möglichkeiten. Das bedeutet für ihn vor allem Konzentration auf ein einziges Medium, auf die Sprache, und auf ein einziges Organ, die menschliche Stimme. Was kann das gesprochene Wort nicht alles in uns auslösen - vor allem, wenn es beim Monolog auf der Bühne oder beim Dialog zweier auftretender Personen bleibt; alles, was darüber hinausgeht, ist für Mikl vom Übel, Massenszenen sind ihm ein Greuel, sie ersticken die Sprache.

So wie sich Mikl eine Literatur wünscht, die von der Kraft der Sprache und nicht von irgendwelchen Inhalten bewegt wird, so konzentriert er sich in seinen Bildern auf das, was Malerei ausmacht, auf die Farbe und auf den Duktus, in dem die Farbe vorgetragen wird. Josef Mikls Bilder sind, in einem umfassenden Sinn verstanden, geschriebene Bilder. Nicht zufällig ist, wenn von der Kunst Mikls gesprochen wird, immer wieder von Handschrift, Pinselspur, Geste, Duktus die Rede. Wir müssen hinzufügen: Es handelt sich dabei nie um Kalligraphie, viel eher um Kritzelschrift, die an Kinderkritzeleien erinnern mag, mehr noch an in großer Eile unter einem Ansturm von Gedanken gemachte Aufzeichnungen, die wenigstens etwas von diesem Gedankensturm festhalten wollen.

Und dann, nicht zu vergessen, die zentrale Rolle, welche die Farbe bei Josef Mikl spielt, über sie wurde zu Recht viel und ausführlich gesprochen, über das ins tiefe Rot hinüberspielende Gelb, das sich zwischen dem ärarischen Kaisergelb der alten Donaumonarchie und der Farbe von Blutorangen bewegt und das ich so bei keinem anderen Künstler unserer Zeit gefunden habe, dieses Gelbrot, dem Mikl manchmal ein irritierendes Blau entgegensetzt und in dessen reich beschichtete Farbflächen und Formpartikel er immer wieder schwarze Konturen von Körpern hineinschreibt, von Körpern, die ausgespart bleiben und doch abwesend anwesend sind, von Büsten, von Köpfen und von Gesten, die sich von allem Figürlichen, von allen Körpern, Büsten, Gliedern, gelöst haben. Schwarz könnte, so meinen wir, wenn es Kontur bleibt, Trennung suggerieren, und doch führt es zur Verklammerung. Schwarz könnte Trübung und Verdüsterung bedeuten, und doch ist es bei Mikl stets ein Mittel der Klärung und Erhellung.

Josef Mikl kann mit dem Blick auf Raimunds Zauberspiele und Nestroys Sprachpossen das Theater der Weltgeschichte in ganz anderer Weise fassen: als Malerei. Das Bild wird zu einer Bühne kämpfender Kräfte, die Akteure sind die Farben, sind Farbflächen und Flecken, sind ausgreifende Formen und ausfahrende Pinselzüge, sind dunkle Konturen auf hellem Grund, die gegen andere Konturen stehen und mit ihnen um die Vorherrschaft ringen.

Der Maler als Denker auf der Bühne. Wenn wir die Bilder von Josef Mikl genau und aufmerksam betrachten, dann sehen wir dem Maler beim Denken zu, bei einem Vorgang, den wir in Analogie zu Heinrich Kleists Wort vom Verfertigen der Gedanken beim Sprechen als das Formulieren bildnerischer Formen während des Arbeitsprozesses bezeichnen könnten. Und wie es schwierig, ja unmöglich wäre, diese Fabrikation der Gedanken bei Kleist zu illustrieren, gerade so schwierig, ja unmöglich ist es, Mikls Bilder adäquat zu beschreiben. Was sich über die Augen - und nur über die Augen - an unseren Verstand, an unser Bewußtsein wendet, läßt sich nicht ohne Verlust in Worte fassen, läßt sich nicht ohne Beeinträchtigung in das Medium der Sprache übersetzen. Das eben ist das Verbindliche, das Gültige, das Nichtwiederholbare an Mikls Kunst. Das anschauliche Denken kennt seine eigene Logik, besitzt seine eigene Konsequenz. Es denkt in Farben, Formen und Figuren und ist nur auf eigenem Territorium zu fassen. Das bildnerische Kunstwerk steht selbständig und unabhängig neben dem sprachlichen Kunstwerk, es ist von anderem Charakter, wendet sich an eine andere Weise der Rezeption, doch kommt ihm grundsätzlich der gleiche Rang zu wie diesem - es liegt, hier wie dort, am Künstler, was er aus ihm macht. Eine Verbindung zwischen beiden Bereichen, zwischen beiden Medien, kann es nur in einer Tiefenschicht unseres Bewußtseins geben, dort, wo unsere Emotionen ihren Ursprung haben.

Kehren wir am Schluß noch einmal zu unserem Ausgangspunkt zurück, zu dem an Josef Mikl ergangenen Auftrag, dem Großen Redoutensaal in der Wiener Hofburg durch Malerei ein neues Gesicht zu geben, jenem Auftrag, der den Maler zur Beschwörung von Raimund, Nestroy, Canetti und Karl Kraus führen sollte. Mikl begann, wie es seine Art ist, mit dem schwierigsten Teil, mit dem über 400 Quadratmeter messenden Deckengemälde, und machte sich sogleich an die vorbereitenden Studien und Entwürfe, um sich im kleineren Maßstab an die größere Aufgabe heranzuarbeiten. Es kann hier nicht einmal andeutungsweise von all den Schwierigkeiten berichtet werden, die sich ihm entgegenstellten, dem Anmieten eigener Atelierräume im Wiener Arsenal, in denen einmal Flugzeugmotoren produziert wurden, dem Errichten der verschiedenen Gerüste, die dem Künstler den distanzierten Blick auf die sich entwickelnde Arbeit ermöglichten, den vielen wieder verworfenen Detaillösungen, die sich noch nicht dem großen Ganzen fügen wollten.

Indes die Wandbilder mit vielen Andeutungen auf die tragischen Komödienspiele eines Raimund, Nestroy und Canetti verweisen, bezieht sich das Deckenbild auf einen Text von Karl Kraus, auf sein 1917 - also mitten im Ersten Weltkrieg - entstandenes Gedicht „Jugend“. Josef Mikl schrieb: „Ich mußte ein Deckenbild entwerfen und ausführen ohne Erinnerung an die Barockzeit oder an die Rokokozeit. [...] Ich begann in der Mitte der großen weißen Leinwandbahnen, in der Mitte der Kindheit. Aus der die guten Träume kommen - in der Mitte der Erinnerung. Das Gedicht von Kraus handelt davon.“

Mikl hat, allerdings für den Betrachter unlesbar, die 34 Strophen des Gedichts an verschiedenen Stellen in das Bild hineingeschrieben - es ist, als ob der Bildgrund die Schriftzüge ganz aufgesogen,ganz in sich hineingenommen und in Struktur verwandelt hätte.

„Glück war es und Beruf,

Glück zu entbehren;

was mir Verehrung schuf,

scheu zu verehren“

 

heißt es da - und an anderer Stelle:

 

„Pocht es von alters her,

öffn‘ ich die Sinne,

daß es wie damals wär‘,

wo ich beginne.“

 

Und dann finden wir diese Stelle, die sich Josef Mikl mehrfach anstrich, deren Zeilen er unterstrich:

 

„Fern als ein Leierklang

klingts in das Leben,

wills einem Leid entlang

spielen und schweben.“

Und gleich darauf die Strophe:

„Ja dort in Weidlingau

in jenem Alter,

war mir der Himmel blau,

rot war der Falter.“

 

Sollte ich in Sprache zu fassen versuchen, was mir dieses Bild von Josef Mikl sagt, ich wüßte keinen anderen Ausweg, als mich der Worte von Karl Kraus zu bedienen.

 

„Fern als ein Leierklang

klingts in das Leben“

heißt es in seinem Gedicht, und dann:

„wills einem Leid entlang

spielen und schweben.“

 

Einem Leid entlang spielen und schweben - wann wurde dies je von einem Bild gesagt? Und mehr: Auf was für ein Bild träfe solch eine Aussage denn zu - auf was für ein Bild, das nicht selbst Poesie ist in Farben, Formen und Figuren?

Und schließlich diese Reminiszenz:

 

„Ja dort in Weidlingau

in jenem Alter“

Da wird eine Erinnerung lebendig in der Beschwörung eines Bildes, in der Beschwörung von zwei Farben:

„war mir der Himmel blau,

rot war der Falter.“

 

Mikls Deckengemälde anschauend, meine ich nicht nur den Himmel der Kindheit zu sehen, dessen Blau ungetrübt war, sondern auch jenen roten Schmetterling, der in ihn hinein auffliegt, bis der Himmel ihn aufnimmt und er den Himmel aufnimmt, bis der Falter im Himmel verschwindet und der Himmel in ihm.