Artur Rosenauer, Zu Josef Mikl, 1992

Josef Mikl ist einer der großen Protagonisten der Österreichischen Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Schon in den Jahren 1948-1955, noch als Schüler der Meisterklasse Dobrovsky an der Wiener Akademie, gehörte er dem Art Club an. 1956 gründete er gemeinsam mit Wolfgang Hollegha, Markus Prachensky und Arnulf Rainer die Gruppe Galerie St. Stephan, deren Leiter der legendäre Monsignore Otto Mauer war. 1968 vertrat Josef Mikl Österreich auf der 34. Biennale in Venedig. 1969 wurde er als Professor an die Wiener Akademie der bildenden Künste berufen und seit 1972 betreut er den Abendakt.

Auch wenn eine derartige Aufzählung einiges über den Künstler aussagen mag, so liegt seine eigentliche Bedeutung nicht in seiner Biographie und nicht in den bemerkenswerten Stationen seiner Karriere, sondern in seinem Werk.

So unverwechselbar die Werke Mikls auch sind, so schwer fällt es sie zu charakterisieren. Ich möchte es dennoch versuchen: Wenn ich dabei vor allem die Bilder der letzten Jahre vor Augen habe, so ist dies insofern legitim, als Josef Mikl sich bei allen Wandlungen sein ganzes Schaffen hindurch stets treu geblieben ist. Treu nicht im Sinn von Festhalten an einer einmal gefundenen Formel, sondern treu in dem Sinn, dass es eine Reihe von Grundpositionen seiner Kunst gibt, die ein Spannungsfeld bezeichnen, in dem sich sein Schaffen bewegt. Er folgt zwar Prinzipien, bewegt sich aber nicht auf einer glatten, gradlinig vorgezeichneten Straße. Mikl nimmt Umwege in Kauf um zu neuen Erfahrungen zu gelangen und das macht seine Kunst lebendig, verleiht ihr Spannkraft. Nichts steht von vornherein fest. Jedes Bild wird in der Auseinandersetzung mit Farbe und Leinwand zum Abenteuer und Wagnis.

Mikl hat sich stets dagegen gewehrt als abstrakter Künstler bezeichnet zu werden. Sein ganzes Schaffen ist von einer lebendigen Spannung zwischen Gegenstand und Abstraktion bestimmt. Die Titel vieler Bilder verweisen auf die Herkunft aus dem Gegenständlichen: Liegende Figur, Büste, Köpfe usw. Mikl hat auch immer wieder betont: in der Natur liegt der Anfang. Sie ist die große Lehrmeisterin, selbst in ihrem Jammerzustand. Zu ihr kommt die Erfindergabe …

Wenn die Bilder der 70er Jahre in einem höheren Maß durch die äußere Erscheinung der Motive gekennzeichnet sind: Blumen, Früchte, Lockenten etc., so wird das Gegenständliche in den 80er Jahren stärker zurückgedrängt. Dabei kann sich Mikl von der äußeren Erscheinung so weit entfernen, das das Objekt als solches kaum noch zu erkennen ist – lediglich seine Struktur geht als ordnendes Element in das Bild ein. Das Ergebnis ist eine Interaktion von Formen und Farben, wie sie eben nur im Medium der Malerei ausdrückbar ist.

Der aus der weit ausholenden Armbewegung resultierende Strich des breiten Pinsels verleiht den Kompositionen die Spannkraft einer elastischen Feder. Einander entgegen getürmte Farbmassen erzeugen ein dynamisches Gleichgewicht. Die Farben sind kräftig und strahlend: Rot, Gelb, Akzente in Blau-Schwarz tragen zur vitalen und aktiven Wirkung der Bilder bei. Die Farbe des Grundes hat dabei mitzureden: sie wird zum Kompositionselement. Die sicher, souveräne Beherrschung der Fläche zeigt sich gerade dort am deutlichsten, wo die Farbe auf gewagte Weise als Gegengewicht zum Weiß des Grundes exzentrisch an den Rand gesetzt ist und das Gleichgewicht dennoch gewahrt bleibt. Die Sicherheit in der Beherrschung der Bildfläche verleiht selbst Zufallseffekten den Charakter der Notwendigkeit. Freie, zunächst fast chaotisch anmutende Strichlagen ordnen sich unversehens zu einem festen Gefüge. Die kontrollierte Spontaneität des Duktus bestimmt den Eindruck der Bilder.

Das Bemühen um plastische Qualitäten einerseits und die Beherrschung der Bildfläche andererseits bilden zwei wichtige Pole im Schaffen Mikls. Auch wenn in den großen Kompositionen der letzten Jahre die Farbflächen dominieren, geht das Körperhaft-Räumliche nie ganz verloren. Das diaphane Gitterwerk der Pinselzüge schließt stets Raum ein.

Für Mikl ist die Beherrschung des Handwerks eine geradezu selbstverständliche Voraussetzung seiner Kunst. Dass er gleichzeitig aber ein tiefes Misstrauen gegen jegliche Routine hegt, zeigt sich darin, dass er Techniken und Instrumente bevorzugt, die dazu zwingen, sich mit dem Material auseinanderzusetzen: das Tuschholz, dessen Bewegung von den Unebenheiten des Papiers abgelenkt werden kann; den breiten Borstenpinsel der dem Malvorgang Widerstand entgegensetzt. Man fühlt sich an einen Satz von Focillon erinnert: „Ohne Materie wäre die Kunst nicht nur nicht vorhanden, sie vermöchte auch nicht so zu sein, wie sie sein möchte.“

Im Lauf der Jahre ist Mikl im Umgang mit der Farbe immer freier, in der Handhabung der Medien immer souveräner geworden. Malerei und Zeichnung können bruchlos ineinander übergehen. Fast jedes seiner Bilder bewahrt etwas vom Duktus der Zeichnung, in jeder Zeichnung offenbaren sich malerische Qualitäten.

Josef Mikl ist Moralist, er ist alles andere als bequem, weder sich selbst, noch anderen gegenüber. Er bezieht Stellung und zwingt auch sein Gegenüber Stellung zu beziehen. Moralist ist Mikl nicht nur im Leben, sondern auch in seiner Malerei; nicht in einem platten, verbalisierbaren Sinn, sondern insofern als er keine Kompromisse eingeht, niemand entgegenkommt. Der Betrachter muss ihm entgegenkommen und sich um seine Kunst bemühen.

In Mikls Kunst spürt man ein Ethos, das sich in seinem Sich-Verweigern äußert. Mikl sucht Widerstände; so willkommen jedem Künstler Zustimmung auch sein mag, so hegt er doch jeglicher Popularität gegenüber ein tiefes Misstrauen. Obwohl er klare Positionen bezieht und deutlich definierte Werte kennt, hat er in seiner Kunst nie Inhalte und Weltanschauungen vor sich hergetragen. Er hat sich und seine Kunst stets der Verfügbarkeit durch die Tagespolitik entzogen. Zu großer Beifall von öffentlicher Seite würde ihn wahrscheinlich skeptisch und kopfscheu machen.

Man realisiert viel zu wenig, dass sich das Schaffen Josef Mikls über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren erstreckt. Ein immens langer Zeitraum – länger als der, der Rembrandts erstes von seinem letzten Selbstporträt trennt. Dabei hat Mikls Kunst nichts von ihrer Spannkraft verloren, ist nie in Routine abgesunken, wie das selbst bei großen Künstlern gelegentlich der Fall ist. Man muss dabei nicht nur an Zeitgenossen denken, auch Künstler der Vergangenheit, etwa der späte Cranach oder der späte Maulpertsch, liefern dafür Beispiele.

Werner Hofmann hat kürzlich davon gesprochen, dass in der Kunst unserer Tage, „die permanente Innovation zum Fetisch erhoben wurde“ und gleichzeitig vor den Auswirkungen gewarnt: „Solcherart musste das Kunstgeschehen in die Rastlosigkeit und schließlich in die Überanstrengung, in den Thesen- und Kräfteverschleiß geraten.“ - Diese Gefahr hat für Josef Mikl nie bestanden. Er hat es nie nötig gehabt Moden mitzumachen. Die Aktualität seiner Kunst beruht auf Ernst, Haltung und auf Konsequenz. Gerade in den Werken der letzten Jahre zeigt sich eine Vitalität und ein malerischer Reichtum, die uns gespannt und uns hoffen lassen, was noch kommen wird.