Helga Dostal, Zur Ausstellung im Theatermuseum, 1998

Es war wohl in den damals ehrwürdigen Hallen der Akademie der bildenden Künste in Wien, in der ich Josef Mikl, Magister artium, Ordentlicher Hochschulprofessor und Leiter einer Meisterschule für Malerei an der genannten Institution, erstmals persönlich begegnete. Dieses erste Gespräch verlief von seiner Seite aufmerksam, kritisch, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als wollte er nicht nur zuhören, sondern auch innerlich horchen, was und insbesondere wer da auf ihn zukomme. Mit wachsendem Interesse an der Thematik, wohl auch Akzeptanz der Gesprächspartnerin, wurde er lebhafter, direkter, die verschlossene Miene öffnete sich, sogar ein leise Lächeln verirrte sich auf seine Gesichtszüge. Obwohl er locker, geradezu gelassen wirkte, vermittelte er dennoch den Eindruck, als wäre jede Faser seines Körpers gespannt, als könnte er, wie eine Wildkatze, ein Raubtier, von einer Sekunde zur anderen wie eine vom Druck freigegebene Stahlfeder aufspringen, davonschnellen. Er tat es nicht, wiewohl seine rechte Hand manchmal auf die Armlehne seines Sessels griff, darauf Druck ausübte, als wolle er zumindest aufstehen.

 

Seine sprachliche Ausdrucksweise war kurz, klar, konzise, direkt, jede Antwort machte deutlich, dass er sofort alle Spektren einer Frage erfasst, durchschaut, geradezu seziert hatte. Mit hellwachem Intellekt und in knapper Diktion erläuterte er seinen Standpunkt, seine Ansichten, seine Vorstellungen und auch seine Kompromisslosigkeit in Sachen Kunst. Er sprach mit leiser, zurückgenommener, fast verfeinerter Stimme, die ebenso erahnen ließ, dass sie auch laut und heftig eingesetzt werden könnte, wie seine Körperhaltung zurückgenommene Aggressionskraft vermittelte. Bei späteren Zusammenkünften und in verschiedenen Gesprächsrunden lernte ich noch viele Facetten seiner Sprache kennen, die unvermittelt von reinstem Hochdeutsch in das wienerische Idiom, aber auch dessen breite Wortskala wechselt, ebenso Schärfe annehmen und über jede Bandbreite von Ironie verfügen und, wenn erforderlich, auch „raunzerisch“ eingesetzt werden kann. Immer vorhanden sind unbedingte Aufmerksamkeit, geistige Präsenz und Konzentration, die er auch von seinen Mitmenschen erwartet.

 

Mikl ist eine schillernde Persönlichkeit, als Mensch, als Künstler, als Intellektueller. Er ist ebenfalls ein Besessener, der in eine Thematik eintauchen und sie nicht mehr loslassen kann, bis er die Lösung gefunden oder das Werk vollendet hat. Er ist ein Getriebener seiner eigenen Gedanken Vorstellungen und Ideen. Er ist auch ein fast maßloser Arbeiter, wenn es um seine Kunst geht und ein selbstkritischer Perfektionist, der vernichtet, was für ihn nicht Gültigkeit hat und verändert, was für ihn noch nicht vollendet ist. Er besitzt aber auch die innere Ruhe, um zu warten, bis er oder etwas oder die Zeit für etwas reif ist. Und in der dazwischen verstrichenen Zeit arbeitet er weiter, innerlich oder äußerlich, denkend oder für alle sichtbar.

 

Auch „Häuptling Abendwind“ gehört in diesen Abschnitt seiner persönlichen Welten. Mikl hatte sich schon in seiner Jugend mit dem Werk auseinandergesetzt und es ist wohl nicht zu leugnen, dass seine eigene Sprache eine ganz besondere Affinität, wenn nicht sogar Verwandtschaft, zu Nestroys sprachlicher Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit, zu ihrem Wortschöpfertum besitzt. Nestroy hat ihn gleichsam sein ganzes Leben begleitet. Und er war auch dabei, als Mikl die durch einen Brand zerstörten Redoutensäle in der Wiener Hofburg nach ihrer Wiederherstellung mit Deckengemälden und Wandbildern ausgestaltete: nicht, dass er Werke interpretiert, oder Szenen wiedergegeben hätte, vielmehr waren die von ihm besonders geschätzten Autoren Elias Canetti, Ferdinand Raimund, Karl Kraus und, natürlich, Johann Nestroy seine geistigen Wegbegleiter bei dieser fast übermenschlichen Arbeitsleistung.

 

Und diesmal ließ ihn Nestroy nicht mehr los, er widmete ihm und seinem „Häuptling Abendwind“ einen kompletten Zyklus an Gemälden und Skizzen, verfertigte Modelle für Bühnenbilder und stellte Überlegungen an, wie er dieses Werk auf einem Theater realisieren würde. Mikl hatte schon in früheren Jahren für anspruchsvolle kleinere Wiener Häuser, aber auch für die Sommerspiele im Hof des Schlosses Porcia in Kärnten gearbeitet, die besonderen Bedingungen des Theaters waren ihm also keineswegs neu. Dennoch gibt es wohl kaum einen anderen bildenden Künstler, der mit seinen Mitteln quasi eine gesamte Bühneninszenierung realisiert, ohne von einem bestimmten Theater dafür einen Auftrag erhalten zu haben. Mikl weiß auch heute nicht, ob seine Imagination jemals szenisch umgesetzt werden wird, aber für ihn sind die Gemälde und Skizzen zu „Häuptling Abendwind“ anders zu betrachten, als alle anderen von ihm geschaffenen Werke, sie stellen bestimmte Personen, Szenen und Handlungen dar und er weiß, wie sie agieren würden, wenn man sie zu szenischem Leben erweckte!

 

Mikl hatte den gesamten „Häuptling Abendwind“ bereits fertiggestellt, als ich ihn eines Tages bat, mir die Entwürfe für die Wandgemälde in den Redoutensälen für mein Arbeitszimmer im österreichischen Theatermuseum zur Verfügung zu stellen. Mikl wäre dazu gerne bereit gewesen, der Wunsch war jedoch letztlich nicht realisierbar, da die Entwürfe Eigentum des Auftraggebers der Wandgemälde sind. Mikl spürte meine Enttäuschung, erzählte mir daraufhin erstmals von „Häuptling Abendwind“ und lud mich zur Besichtigung in sein Atelier ein. Mikl hatte sowohl sein großes Atelier, als auch die Nebenräume für Abendwind den Sanften, für Biberhahn den Heftigen und Bär Arthur, für Abendwinds Tochter Atala und ihr Puppe freigemacht und deren Bilder für mich bereitgestellt: ich tauchte mit Mikl in ihre Welt ein, lernte sie alle kennen und freundete mich mit ihnen an. Heute sind sie mir durch die malerische Sprache Mikls wesentlich vertrauter, als sie es durch den Text Nestroys je hätten werden können. Dem Gedanken, sie, die wohl nie das Licht des Theaters erleben würden, im Österreichischen Theatermuseum zur Ausstellung zu bringen, folgten fast sofortige Überlegungen, wann Mikl sich die entsprechenden Räumlichkeiten ansehen wolle und wann die Ausstellung stattfinden könnte und welcher personelle Einsatz notwendig sei und ob die Drucklegung eines Buches möglich wäre.

 

Die erforderlichen Entscheidungen wurden wie selbstverständlich getroffen; die Durchführung des Projektes erfolgte mit der Mikl so eigenen Ruhe und Präzision, mit kurzem Gedankenaustausch, aber auch mit Freude an der fortschreitenden Konkretisierung. Bei der Zusammenstellung und Gestaltung der Ausstellung war Brigitte Bruckner-Mikl, ebenfalls bildende Künstlerin und Mikls liebenswerte Frau eine gute Mitarbeiterin. Beiden sei für Überblick, Gelassenheit, Hilfestellung, Zuwendung, Realisierung, Menschlichkeit herzlichst gedankt!

Und Mikls theatralische Imaginationen haben nunmehr den schützenden Raum des Ateliers verlassen, sind in die Öffentlichkeit gegangen, zeigen sich in nestroy'scher übermütiger Fürwitzigkeit einem Publikum, das sie erst erkennen muss, will es den Gedankengängen ihres Gestalters folgen, sie haben sich diesem entzogen und werden wohl von nun an das erst durch den Betrachter entstehende künstlerische Eigenleben führen.

 

In: JM Johann Nestroy Häuptling Abendwind Vorarbeiten Bühnenentwürfe Ölbilder Graphik 1994 - 1998