Handwerk und Kunst, 2008

 

Große Kriege bringen Veränderungen. Weltkriege verändern die Welt.

 

Waren unsere Politiker nach 1945 verändert, waren sie anders – oder waren sie frühere Politiker?

 

Wussten sie, dass die Welt sich ändern würde – sich ändern musste?

 

Ahnten sie das verbesserte Fließband, die daraus folgende Arbeitslosigkeit, den kleinen Tischler in der Großtischlerei, den fehlenden Schuhmacher, Schneider, Sattler, Drechsler, Buchbinder und alle anderen Handwerker?

 

Dass die Gärtner, die Greißler, die Hausärzte verschwinden würden, konnten sie das voraussehen?

 

Die Bauernkinder von ihren Höfen gehen würden? Das unsere Gasthäuser durch Resopalschweinereien und Verbundfenster ihren Charakter verlieren, ihre Gastgärten zu Parkplätzen demoliert würden, die Architekten ihr früheres Handwerk verlernen könnten, ihr schrankenloses Niederreißrecht, ihre Niedertracht aber belohnt und erhalten bliebe?

 

Man sagt, das Handwerk hat einen goldenen Boden.

 

Wo das Handwerk verschwindet, verschwindet dieser Boden.

 

Wir leben heute auf einer vergifteten Talmi-Erde, zusammen mit der wachsenden Wegwerfindustrie, mit den dazugehörigen Wegwerfdirektoren und ihren Wegwerfgehältern.

 

Kann man die Kunst mit dem Handwerk vergleichen?

 

Die Kunst ist Handwerk – und ihr Inhalt bloß der Auftrag für den entsprechenden Handwerker.

 

Ob daraus Kunst wird, hängt von der Charakterausbildung, der Begabung des Ausführenden ab.

 

Wer denken lernen will – und Denken ist ein Handwerk – sollte den Unterschied Maulpertsch-Makart, den Unterschied Wotruba-Breker denken lernen.

 

Mit diesem Abstand lebt die Kunst. Haben unsere Künstler nach 1945 von der Veränderung gewusst?

 

Ahnten sie, dass die druckgraphik zur Wegwerfgrafik, der Kunsthandel zum Friedhof werden könnte, zum Friedhof der jungen Meister? Dass die Reproduktion gewinnen würde, der Abguss, die Fälschung? Das Leuchtstoffröhren und Fernsehlicht unser Licht werden, dass unsere Museen kein Tageslicht mehr für die am Tage gemalten Bilder haben könnten? Dass die Kunstkarten besser gefallen würden als die Originale, die Farbenblindheit zunehmen könnte? Usw.

 

Hätten unsere Regierungen, unsere Politiker, unsere Künstler das nicht alles wissen müssen?

 

Man sagt, Wissen ist Macht.

 

Zuerst aber ist Wissen Pflicht.

 

 

 

JM Zweite Fassung 2008

 

 

 

in: Josef Mikl, Arbeiten 1997 - 2008, hrsg. von Josef Mikl und Brigitte Bruckner, Wien 2009, S 115